Vor einiger Zeit saß eine Klientin in meiner Praxis und war wirklich verzweifelt. "Ich will mich entspannen!" sagte sie und ballte ihre Fäuste. Ihr ganzer Körper war angespannt und ihr Gesicht schmerzverzerrt. "Alle sagen das Gleiche, dass ich mich entspannen muss, und ich will das auch, aber ich weiß einfach nicht wie"! Sie hatte schon viel probiert, versuchte im Ausdauersport einen Ausgleich zu finden, aber das half nur kurzfristig.
Aktiv sein bestimme ihr Leben - selbst in ihrer Freizeit
Sie leitete eine Hausverwaltung und jonglierte täglich zwischen den Wünschen der Wohnungsbesitzer, der Mieter und denen der Handwerker. Das alles erfüllen zu müssen, setzte sie enorm unter Druck. Ihr autonomes, also unbewusstes Nervensystem war in einer ständigen Alarmbereitschaft. Vereinfacht gesagt, hatten die Teile, die im autonomen, also unbewussten Nervensystem dafür sorgen, dass wir bei Gefahr kämpfen und fliehen können, das Ruder übernommen. Aktiv sein, wach sein, alles registrieren, bei Bedarf sofort losrennen - das bestimmte ihr Leben, selbst noch in ihrer Freizeit - beim Sport!
Ein balanciertes Nervensystem
In einem balancierten Nervensystem regulieren sich Sympathikus - der Teil, der für die Aktivität zuständig ist - und Parasympathikus - der Teil, der zur Ruhe kommen lässt - wechselseitig. Aktivität und Ausruhen wechseln sich ab. Wenn sich das Nervensystem aber nicht regulieren kann, weil sich hier schmerzhafte Erfahrungen eingebrannt haben, kommt das System durcheinander und kann Erregungszustände nicht mehr ausgleichen.
Keine Frage des Wollens
Wie der Name schon sagt, lässt sich das "autonome Nervensystem" nicht einfach über den Willen beeinflussen. So war es auch bei der Klientin. Wahrscheinlich ahnen Sie jetzt schon, dass der Schlüssel zu ihrer ersehnten Entspannung in einer achtsamen Annäherung an ihr Gefühl lag, alles erfüllen zu müssen, was andere von ihr wollen. Hinter diesem "eingerasteten" Verhalten lag eine schmerzliche Erfahrung, die schon lange vorüber, aber in ihrem Nervensystem immer noch gespeichert war. Schrittweise gelang es, über ihr Körperempfinden wieder eine Verbindung zu diesen alten Erfahrungen aufzubauen und die darin gespeicherten Impulse auszudrücken. Allmählich ließ der innere Druck nach und sie spürte, dass sie sich innerlich freier fühlte. Das wirkte sich auch auf ihr Verhalten gegenüber ihren Kunden aus, Schritt für Schritt spürte sie, auf welche Wünsche sie eingehen wollte und auf welche nicht.
Alte Erfahrungen unaufgeregt auflösen
Wie es möglich ist, solche alten Erfahrungen wieder zugänglich zu machen, um sie -schrittweise, achtsam und unaufgeregt aufzulösen, beschäftigt mich schon lange. Ein Seminar in Somatic Experiencing (SE), das ich besucht habe, hat mich noch einmal tiefer verstehen lassen, wieso ich mich dafür entschieden habe, nicht am Verhalten zu arbeiten, sondern immer wieder im Inneren auf Entdeckungsreise zu gehen und dabei auch den Körper immer mehr einzubeziehen.
Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht oder Fragen dazu? Ich freue mich über Rückmeldungen.